Reichweite und Medialisierung! Zwei ganz wundervolle Buzzwords, die aus keinem werberelevanten Thema mehr wegzudenken sind. Auch Sport und Randsportarten sind entsprechend werberelevant und deshalb betroffen. Sind sie doch, oder? Sport benötigt schließlich Geld und Geld kommt von Sponsoren. Und diese bezahlen nach Reichweite. Oder etwa doch nicht?
Meine Gedanken, warum diese Rechnung nicht aufgeht und warum Randsportarten endlich aufhören müssen, einer fiktionalen Reichweite hinterher zu hecheln.
Reichweite gleich Gewinn - das zählt nicht mehr
In schöner Regelmäßigkeit schwatzen Präsidenten, Geschäftsführer und andere Verantwortliche in die Mikrofone, ihre Sportart hätte sich doch wohl das Recht verdient, in den Öffentlich-Rechtlichen TV-Programmen übertragen zu werden. Es sei ja schließlich eine EM, WM, Olympia-Qualifikation oder ein sonstiges wichtiges Ereignis.
Gemeint ist natürlich: Die eigene Mannschaft, und damit der Verband, hätte sich durch sportlichen Erfolg ein Recht auf Reichweite erarbeitet. Schließlich bedeutet Reichweite hübsche große Zahlen in Vermarktungsunterlagen und damit automatisch finanziellen Erfolg.
Diese Rechnung war schon immer mit Vorsicht zu genießen, ist mittlerweile aber völliger Nonsense.
Doch woher kommt diese Fixierung auf Reichweite um jeden Preis? Gerade in Randsportarten scheint das Wort Reichweite auch heute noch magische Macht zu haben.
Sportrechte sind kein Business Case
Dass Sportrechte den Anbietern per se keinen wirtschaftlichen Erfolg bringen, ist keine neue Erkenntnis. Sky Deutschland steht zum Verkauf, DAZN schreibt weiterhin keine schwarzen Zahlen und wenn Telekom, Youtube oder Amazon bei einem Sportrecht zuschlagen, steht Vieles im Vordergrund, aber sicher nicht die Refinanzierung durch Sportabos.
Woran das liegt? Kurzum: An zu teuren (Premium-) Sportrechten, die nur durch eine Vielzahl an langfristigen Abonnements teilrefinanziert werden können. Und das passt mit der aktuellen Mediennutzung so ganz und gar nicht mehr zusammen.
Vor einigen Tagen bin ich über diesen Artikel gestolpert. Und auch wenn es dabei um Journalismus geht, bringt der Autor in wenigen Sätzen auf den Punkt, worum es auch im Sport geht:
Gute Wachstums- beziehungsweise Wachstumsnachholraten bei medialen Bezahlangeboten, verbunden mit optimistischen Abo-Prognosen für den Rest der 2020er.
Keiner dieser Trends ist von Dauer. Beziehungsweise, in Richtung Geld gewendet: Das digitale Wachstum wird ohne Querfinanzierung durch neue Geschäftsfelder absehbar nicht ausreichen, größere Teile des Betriebs zu refinanzieren.
und weiter
Wir leben in einer Welt des (beinahe) unendlichen Contents, in der die klassischen Medienmarken keinerlei Form von Vertriebs- oder sonstiger Exklusivität besitzen.
Für Randsportarten bedeutet das: Die Verfügbarkeit wird vorausgesetzt. Es geht nicht mehr darum, ob und in welcher Qualität das Angebot verfügbar ist. Die Verfügbarkeit ist gesetzt.
Reichweite als Hygienefaktor
Der Kanal ist dabei nebensächlich. Ob Youtube, Twitch oder eigene OTT-Plattform oder die Verbreitung mittels Amazon, Telekom oder DAZN. Der Interessent findet den Weg zum Content. Der Grundstein des Erfolgs liegt in erster Linie am Marketing und dort aktuell vorrangig in Social Media. Der Verbreitungsweg an sich spielt am Ende keine Rolle.
Dabei prahlen alle angesprochenen Dienste mit irren Reichweiten. Dazu laut eigener Aussage natürlich in der für Unternehmen interessanten Zielgruppe des jungen, besser gebildeten und spätestens irgendwann zahlungskräftigen Anteils der Bevölkerung. Übersehen wird dabei gerne, dass sich der Konsum nicht mehr auf ein TV-Gerät konzentriert, sondern zwei bis vier Screens gleichzeitig, gerne ohne Ton und ohne Beachtung, laufen. Dazu ist die Aufmerksamkeit oft auf wenige Sekunden beschränkt. Von der verklärten familiären Lagerfeuerromantik, die vielleicht eine Sendung wie Wetten Dass...? in den 90ern noch ausstrahlen konnte, sind wir meilenweit entfernt.
Kurz gesagt: Ein Werbekontakt ist nur noch einen Bruchteil dessen Wert, was er “früher” wert war, wird aber immer noch so nach außen transportiert, verkauft und fälschlicherweise oft auch so verstanden.
Gleichzeitig verschenkt der Sport seinen USP mit der Hatz nach Reichweite. Denn reine Reichweite bieten viele Angebote: Von Influencern bis TV, von Reality Soaps bis Weltmeisterschaften. Selbst ein Stück Brot oder ein dreifüßiger Hamster können heutzutage unglaubliche Reichweiten erzielen. Zumindest auf dem (digitalen) Papier.
Die Anziehungskraft des Sports ist ungebrochen
Sport - und hier vor allem die Randsportarten - haben es nicht nötig, sich in diesen aussichtslosen Kampf zu begeben. Die Stärken liegen klar auf der Hand: Sport bietet Emotionalität, Fantum, regionale oder nationale Verbundenheit usw.. Vor allem der ungewisse Ausgang eines Matches lässt die Zuschauer am Screen bleiben. Die Kunst liegt nicht mehr in der Verfügbarkeit der Übertragung, sondern darin, die Interessenten zu erreichen und neue Zielgruppen zu begeistern. Der Content an sich kann über viele Wege verbreitet werden, die Produktion dessen kostet nur noch einen Bruchteil früher benötigter großer TV-Produktionen. Verbreitungswege gibt es viele.
Die ewig gestrige Gier nach Reichweite
Entscheidend ist nicht mehr die Reichweite, sondern die Verfügbarkeit auf das Nutzerverhalten anzupassen. Langfristige Abos sind genauso "out" wie der Blick in die TV-Zeitschrift. Rechteinhaber müssen versuchen, die Wertschöpfungskette ihres Contents so kurz wie möglich zu halten und dabei mit Einfachheit und Zugänglichkeit überzeugen. Der “Kunde” ist durchaus bereit und fähig, den dafür nötigen Extra-Meter zu gehen. Und dafür zu bezahlen. Kleinstbeträge von zwei bis fünf Euro pro Match.
Renaissance des Pay Per Views
Solange es günstiger und vor allem einfacher ist, einen Bundesliga-Nachmittag in der Kneipe zu verbringen, als sich diesen in die eigenen vier Wände zu holen, so lange werden Sky, DAZN und Konsorten keinen wirtschaftlichen Erfolg haben.
Ausgerechnet Sportdeutschland.tv geht hier den - aus meiner Sicht - richtigen Weg. Bezahlen für ein Einzelspiel, ein Follow your Team Ticket, ein Turnierticket, genau das ist eine kundenfreundliche Ausrichtung. Praktiziert beispielsweise im Handball oder Volleyball:
In Zukunft geht es für Sportanbieter darum, eine direkte Kundenbeziehung zum Konsumenten herzustellen und diesen für den Zugang zum Sport zur Kasse zu bitten.
Das kann direkt oder durch Einbeziehung eines Medienanbieters erfolgen. Einfach und unkompliziert sind die Stichworte, um die es hier geht. Die Reichweite an sich ist maximal für die Bewerbung wichtig, für das eigentliche Produkt mit Sicherheit nicht mehr.
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