Olympische Spiele. Und nun?

Nun sind sie also seit ein paar Tagen rum: Die vieldiskutierten Olympischen Spiele in Tokio. Und jetzt? Fest steht: Wieder einmal war die Aufregung groß, definitiv zu groß. Dürfen Spiele in Zeiten einer weltweiten Pandemie stattfinden? Wenn ja, mit Zuschauern? Diese dann aber nur aus Japan oder nur geimpft oder lieber doch nicht? Schließlich die Verschiebung um ein Jahr, die (zumindest medial) immer lauter werdende Ablehnung der japanischen Bevölkerung, jede Menge Skandale und Enthüllungsstorys und die gnadenlose Durchführung wieder jedes besseren Wissens.

Letztendlich wurde gespielt, gerungen und geschossen. Doch so richtig olympisches Gefühl wollte per mitteleuropäischer Mattschirmübertragung nicht aufkommen. Zu sehr waren es unsportliche oder zumindest nicht sportliche Themen, die in meiner subjektiven Wahrnehmung vorherrschten. Pandemie, Politik, Verbände, Rassismus, Doping, Bestechung und Bereicherung.

Globale Müdigkeit

Klar, warum sollte es im Sport anders sein, als in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die Naivität, an ein völkerverständigendes Sportfest der Nächstenliebe zu glauben, endet wohl spätestens, wenn das eigene Alter den zweistelligen Bereich erreicht. Und trotzdem: So ein bisschen weniger Aufregung über Alles und Jeden hätte der Veranstaltung und der Berichterstattung gutgetan.

Und das nicht, weil sie nicht berechtigt gewesen wäre. Nein, ich stelle einfach Aufregungsmüdigkeit fest. Müdigkeit durch fast zwei Jahre Pandemie, Müdigkeit nach einer sinnfreien Fußball-Europameisterschaft, Müdigkeit durch Despoten, Kriege und Klimakrise. Aber in erster Linie bin ich der Aufregung müde. Der Aufregung der Aufregung und Empörung wegen, Müde die Menschheit trotz aller Möglichkeiten und Reichtums am Abgrund zu wähnen.

Ein wenig sehr viel Weltschmerz? Ja mit Sicherheit. Doch wenn ein Event seit gefühlt hunderten von Jahren von sich behauptet es täte nicht weniger als die Welt quasi im Alleingang und allein durch seine schlichte Existenz von allen Leiden zu heilen, dann sind das die Olympischen Spiele. Und dann müssen sie sich an eben dieser Erwartungshaltung messen lassen.

Die Qual der Wahl

Eines ging auf jeden Fall unter. Und genau wie in diesem kleinen Text war so vieles scheinbar wichtiger als die eigentliche Hauptsache: Der Sport, die Wettkämpfe, die Athleten. Sollte nicht eigentlich darauf der Fokus liegen? Es zeigt sich leider mehr denn je, dass die sportlichen Leistungen nicht mehr die ausschlaggebenden News sind. Ich habe mich dennoch sehr gefreut. Auf Randsportarten im Rampenlicht, auf Newcomer und alte Haudegen, auf neue Stars und tränenreiche Abschiede, auf die kleinen und großen wundervollen Geschichten die der Sport eben so schreibt.



Und diese Geschichten gab es natürlich auch. Stundenlange Übertragungen von Bogenschießen, Klettern oder Turmspringen in TV und Stream. Das bringt nur dieses Großereignis mit sich. Spannung pur auch beim Turnen und vielen vielen anderen Sportarten. Dank diverser Streaming-Abos alles live in die heimischen vier Wände. Eine bessere mediale Versorgung gab es wohl niemals zuvor.

Wobei Art und Qualität der Übertragung weiter voneinander entfernt lagen, als so mancher "Exot" von der internationalen Spitze seiner Sportart. Klarer Punktsieger für mich das ZDF. Guter Internetauftritt, meist gute Kommentatoren und tolle Zusammenfassungen der durch ein Mindestmaß an Schlaf verpassten Wettbewerbe. Die ARD verlor mich dagegen bereits an den ersten Sendetagen. Kaum Live-Entscheidungen, Fußball-Vorrundenspiele anstatt deutschen Medaillen und Moderatoren und Experten, die ich kaum länger als ein paar Minuten ertragen konnte.

Umso mehr hatte ich mich auf Eurosport (bei mir per Joyn+ abgerufen) gefreut und insgeheim ein wenig darauf gehofft, dass sich mein Sportnerd-Herz hier zuhause fühlt. Und das hätte vielleicht auch funktioniert, wenn es den funktioniert hätte. Wirre Streams, falsche Tonspuren und Kommentation die zu allem passte, aber nicht zum Livebild. Da halfen auch die täglichen Entschuldigungen der Verantwortlichen nichts. Es hätte super werden können, war aber leider so gar nichts.

Olympic Moments

Entsprechend groß war die Empörung natürlich auch in den sozialen Netzwerken und wahrscheinlich hätte ich gut daran getan, diese gar nicht erst zu öffnen. Aber hey, um 5 Uhr morgens gebannt einen mexikanischen Bogenschützen verfolgen und jeden Pfeil mit Menschen auf der ganzen Welt diskutieren und den olympischen Gedanken leben. Genau dafür wären die Dienste doch perfekt geeignet. Aber lassen wir das.

Und das Vermächtnis dieser Spiele? So wirklich viel ist nicht hängen geblieben. Zumindest wenn ich jetzt, einige Zeit nach der Abschlusszeremonie, zurückdenke, habe ich (leider!) kein echtes Highlight. Es fällt an dieser Stelle schon schwer, überhaupt ein paar Gewinner aufzuzählen. Ein Italiener gewinnt die 100m der Männer. Der Name? Nicht mehr präsent. Aber es kann eh nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. So zumindest lautet der gesellschaftliche Konsens. 

Wie eigentlich alles erstmal zwar genossen, aber stehts hinterfragt werden muss. Die "schnelle Bahn" ermöglichte den Leichtathleten Fabelrekorde, das "schnelle Wasser" sorgte für Rekorde in eben diesem Tempo und die Bühne der Gewichtheber war scheinbar eine der Sorte, die für "geringe Schwerkraft" steht. Nur so ist es doch wohl zu erklären, dass ein namenloser Herr aus einem anrüchigen Staat pro Versuch gefühlt drei Rekorde aufstellen konnte. Oder war er etwa doch einfach sehr gut? Wen interessiert das schon. Ist ja rum jetzt und in 8-12 Jahren wird irgendwo ein Siebtplatzierter nachträglich geehrt. Es ist schon frustrierend.

Licht und Schatten

Denn natürlich gab es auch die großen Momente: Zwei Hochspringer einigen sich auf einen geteilten 1. Platz, sehr junge Menschen gewinnen in tollen neuen Sportarten Medaillen und dank zweier Sportlerinnen findet das Thema mentale Gesundheit und übermäßiger Leistungsdruck zumindest eine Woche den Weg in die "großen" Medien. Es existiert also noch, das olympische Feuer. Na zumindest ist da irgendwo noch ein wenig Glut.

Und doch wird diese gleich im Keim erstickt. Von Aufschrei und Aufregung. Geschlagene Vierbeiner, Entführung im olympischen Dorf und Funktionsträger die sich auf alle erdenklichen Weisen daneben benehmen. Die Ehrlichkeit dieser (oft inhaltlich berechtigten) Aufregung zeigt sich spätestens im nachgelagerten Aufarbeiten und deren Berichterstattung. Mit dem Ende der Abschlusszeremonie war diese in etwa so präsent wie die Namen der Medaillengewinner.

Den Sportlern wird das natürlich nicht im Geringsten gerecht. Und genau darum sollte es eigentlich gehen: Darum, dass Klettern und Skateboard den Spielen endlich frischen Wind verleihen. Dass in "meiner" Sportart das Abschneiden der Teams irgendwo zwischen erwartbar und enttäuschend anzusiedeln ist. Dass ich persönlich mit den Kampfsportarten immer noch nichts anfangen kann, Handball nach wie vor nicht verstehe und Fechten leider zu einem einzigen Videobeweis geworden ist.

Doch leider scheint es das große Vermächtnis dieser Spiele zu sein, dass dies alles nicht mehr relevant ist. Und so freuen wir uns alle auf die Olympischen Winterspiele, die schon auf uns warten. Im Februar. In Peking. Spätestens dann wird sich also wieder aufgeregt. An Themen mangelt es bekanntermaßen nicht. Und die Rekorde werden purzeln. Auf "schnellen Pisten", "schnellem Eis" und "schnellen Besen".

Sofern Curling noch olympisch ist.

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